Wie Hund und Katze!

Etwa seit Mitte Mai gehe ich täglich wandern. Damit habe ich einen guten Weg gefunden meinen Kopf freizubekommen. Musik auf die Ohren und einfach los. Manchmal sammle ich Kräuter die am Wegesrand stehen, manchmal genieße ich nur die schöne Umgebung und das Wetter.
Es hat sich von selbst eingeschlichen, dass ich andere Menschen grüße und oft dabei, ohne darauf zu achten, lächle. Ansonsten schaue ich wohl immer etwas sauertöpfisch, was den Kontakt zu anderen natürlich auch ziemlich erschwert.
Meine übliche Runde ist ungefähr elf Kilometer lang und führt durch das Dorf an den See und dann rundherum.
Ich gehe immer in der selben Richtung um den See herum, denn auf der einen Seite ist ein Naturschutzgebiet und auf der anderen ein Badestrand. So Steigert sich die Menge an Menschen die ich treffe nur langsam. Manchmal schaffe ich es sogar am Badestrand noch etwas zu trinken, oder mich einfach hinzusetzen und die Atmosphäre zu genießen.
Derzeit ist dies so mein Highlight des Tages und bisher war es für mich eine rein positive Erfahrung.

Vor ein paar Tagen jedoch habe ich also wie immer meine Runde gedreht, hatte meine Musik auf den Ohren und war voll und ganz in meiner Welt.
Zum Sonnenuntergang war ich am Badestrand und es waren wenige Menschen dort, einige junge Leute, Paare und ein Familienvater mit seinen Kindern und Hund.
Der Vater stand mit seinen Kindern am Strand, und die Kinder hörten ihm gespannt zu, während er ihnen was zu den Dingen im Wasser erklärte.
Währenddessen lief der Hund frei herum und erkundete die Umgebung. Ich beachtete die Anwesenden nicht weiter und atmete tief durch während ich meine Laufapp überprüfte um zu schauen wie schnell ich heute vorangekommen bin.
Durch das Dröhnen der Musik auf meinen Ohren merkte ich nicht das der Hund auf mich aufmerksam geworden war und kläffend auf mich zukam. Ich bemerkte ihn erst als er schon zuschnappte und mich an der Wade erwischte.

Darauf schrie ich laut: „Aua“.
Erst in diesem Moment wurde der Besitzer und seine Kinder hellhörig und drehte sich zu mir um.
Eine Hülse in der Hand, Zigarette im Mundwinkel und total perplex schaute er mich mit leerem Blick an, während seine Kinder mindestens genauso perplex neben ihm standen.
Erst als ich ihnen entgegen brüllte: “Könnten sie ihren Hund bitte zu sich rufen. Der hat gerade nach mir geschnappt!“, reagierte er. Doch nicht so wie ich gedacht hatte.
Instant fing er an mir entgegen zu pöbeln während er mit der Leine in der Hand auf den Hund zuging und seine Tochter zu weinen anfing.
Ich verstand gar nicht was er in meine Richtung gebrüllt hat, aber dieses ganze Setting hat mich getriggert.
Das weinende Kind und der pöbelnde Vater mit dem Bier in der Hand, haben mich so verstört, dass in mir sofort eine Art Schuldgefühl ausgelöst wurde.
Ich ergriff direkt die Flucht…..
Bis zur drei Kilometer entfernten Dorfbucht erinnere ich mich eigentlich an nichts mehr. Aber da ich jeden Tag an diesem Strand laufe, weiß ich das ich bei meiner Flucht ironischerweise an dem Schild vorbeikam das besagt, das Hunde dort an der Leine zu führen sind.
In der Dorfbucht angekommen konnte ich mich wieder ein bisschen fassen und schaffte es mir die Wunde denn mal anzuschauen und ein Bild davon zu machen.
Jetzt da ich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, kamen in mir andere Gefühle auf. Mit den 15 Minuten oder wie viel das auch immer gewesen sein mag Abstand zu der Situation hatte ich auf einmal das Gefühl mal wieder so richtig versagt zu haben.
Ich wusste, ich bin im Recht gewesen und hätte eigentlich drauf bestehen müssen, dass er sich zumindest für seine Nachlässigkeit entschuldigt oder etwas in die Richtung.
Jeder gesunde Erwachsene hätte so gehandelt aber ich mal wieder nicht. In den letzten Wochen und Monaten seit Anfang des Jahres habe ich mich immer weiter gesteigert und immer mehr gedacht zurück in die Mitte der Gesellschaft zu finden. Quasi wieder „normal“ zu wirken.
Wie ich jetzt feststellen musste, war dies weit gefehlt und mein Verhalten noch weit von dem eines Gesunden entfernt.

Auf dem restlichen Heimweg half nichtmal die Musik auf den Ohren, meine Stimmung war am Boden. Ich wollte mich einfach nur verkriechen. Dies ging denn aber nicht so einfach, als ich zuhause ankam merkte ich, dass ich auf dem Discord zu unserer Seite schon seit Tagen schmerzlich vermisst wurde.
Bei dem guten Wetter bin ich halt meist draußen im Garten oder am See. Also fasste ich mir ein Herz und ging in den Sprachchat.

Die Abende im Sprachchat beginnen meist immer gleich, einer der Anwesenden fragt irgendwann: “ na wie war dein Tag?“. Manche antworten einsilbig und andere in großen Ausführungen, beide Varianten enden meist in sehr schönen bereichernden und tiefsinnigen Gesprächen aus denen ich für meinen Teil schon sehr viel mitnehmen konnte.
So auch an diesem Abend, denn schnell merkten die anderen, dass ich heute nicht so auf der Höhe war und in mir irgendwas quer hing.
Nachdem ich mich dann getraut hatte die Geschichte zu erzählen kamen schnell ganz viele Meinungen dazu auf den Tisch. Ich hatte dadurch die Möglichkeit den Spaziergang nochmal durch viele andere Augen zu betrachten und am Ende neue, andere Aspekte zu sehen die mir vorher verborgen geblieben sind. Ich hake das jetzt zwar immer noch als Niederlage ab aber als viel kleinere und kann auch mehr die Dinge betrachten die doch ganz positiv gelaufen sind.

Am nächsten Abend bin ich eine andere Runde gelaufen als die übliche. Mir war der normale Weg direkt nach der Erfahrung nicht so geheuer, aber am Abend darauf (und seitdem jeden Abend bis heute) bin ich wieder zu meiner üblichen Strecke zurückgekehrt. Beim ersten Mal war ich zwar noch etwas am Zittern als ich an den Strand kam, aber mittlerweile denke ich nicht mehr wirklich daran und habe wieder genauso viel Spaß wie vor dem Vorfall.

Grüße von der Front,
der Kater =)