Das einfachste der Welt!

Wenn man Menschen meidet, aus welchem Grund auch immer, tun sich ganz neue Probleme auf. Zum Beispiel der wöchentliche Einkauf.

Am Anfang, als ich mit den Auswirkungen der Erkrankung noch nicht so umgehen konnte, war dieser eine Mammutaufgabe, die kaum zu bewältigen schien. Denn abgesehen davon, dass ich meine Einkäufe zu Fuß erledige, da die öffentlichen Verkehrsmittel für mich nicht in Frage kommen, auch wenn ich etwas ländlich lebe, und deswegen weitere Strecken zur nächsten Einkaufsmöglichkeit zurücklegen muss, machten spätestens zuhause Fieberschübe, Krampfanfälle und Atemnöte den Rest meines Tages aus. Wenn ich dann noch jemanden traf der mich kannte, feierten meine Dämonen auch gerne mal über Tage eine Party in mir.

Ich begann diese Aufgabe also immer weiter herauszuzögern und ging nur wenn es wirklich nötig war. In meinem Zustand war dies aber nur wirklich nötig, wenn ich merkte, dass meine Katzen in den nächsten Tagen wieder Futter oder anderes brauchten, damit sie ordentlich versorgt sind.

Dazu muss ich erwähnen, und das nicht ganz ohne mir etwas stolz auf die Schulter zu klopfen, dass egal wie schlecht es mir geht oder ging, ich meine Tiere immer perfekt versorgt habe. Oder wenn ich gänzlich ausgefallen bin, wie zum Beispiel Ende 2020, als ich nach einem Unfall auf Krücken lief, ich mich um eine kompetente Pflegekraft für die Kleinen gekümmert habe.

Aber back to topic!

Die Ausreden, die ich mir in meinem Kopf zurecht gelegt habe, um noch einen oder zwei weitere Tage zu gewinnen, kann ich heute selber nicht mehr nachvollziehen. Hier mal die Top 5:

  • Ich habe noch Konserven im Schrank.
  • Ich bin dick genug und bewege mich sowieso nicht, dabei will ich abnehmen.
  • Wasser aus dem Wasserhahn zu trinken reicht für mich.
  • Ich spare ein bisschen Geld, das ich an anderer Stelle vielleicht gebrauchen kann.
  • Und last but not least: jetzt ist der Supermarkt voll mit Menschen und wenn er sich etwas leert habe ich nicht mehr genug Zeit bevor er schließt dort zu sein.

Im Endeffekt gab es abends oft etwas vom Lieferdienst, was meine damalige Freundin dann nach ziemlich viel überreden und meckern für uns beide bestellt hat, unter der Prämisse: „ich jage, du sammelst!“ was soviel hieß wie, dass ich mich dann zumindest kurz mit einer Person, nämlich dem Pizzaboten, auseinandersetzen musste. Für solche subtilen Denkanstöße bin ich ihr auch noch bis heute dankbar.

Nach und nach lernte ich dann aber mit meinem Problem, öffentliche Orte zu besuchen an denen andere Menschen sind, klar zu kommen. Anfangs sah das bestimmt für die Außenwelt ziemlich merkwürdig aus; Ich ging nur total vermummt mit Kapuze auf, Schal/Maske, und lauter Musik auf den Ohren aus dem Haus. Natürlich nicht ohne vorher lange Zeit an allen möglichen Fenstern zu überprüfen, ob Nachbarn draußen waren. Denn die mied ich schließlich auch.

Wenn dann freie Bahn war, schlich ich mich aus der Garage raus, und ging so schnell es ging meines Weges, um bloß sicher zu gehen keinem gegenüber „Rechtfertigung“ liefern zu müssen.

Denn das war einer der größten Punkte, die meine Angststörungen begünstigt haben.

Wenn man jemanden gerade in der Gegend trifft, in der man lebt und eigentlich nicht wirklich mit ihnen spricht, bleibt es nicht bei dem anonymen alltäglichen „hallo“ sondern die Leute fühlen sich bei diesen seltenen Momenten dazu genötigt, ihre Neugier mit (für mich zumindest sehr intimen) Fragen zu befriedigen. Dinge wie „Warum war letzten Monat der Krankenwagen bei Ihnen?“ oder „Arbeiten sie gar nicht mehr, Herr Kater?“ sind Fragen die ich nicht beantworten möchte, aber denen ich wie einem inneren Zwang folgend, wenn sie auf dem Tisch sind, nicht ausweichen kann, und es meist geraderaus und ehrlich aus mir herausprescht, so dass ich mich davor selber erschrecke.

Auch wenn ich beim Einkaufen dann Fremde traf, fühlte ich mich nicht besser. Ich rannte durch die Gänge ohne mich richtig umzuschauen, nur um so schnell wie möglich meinen Plan abzuarbeiten. Wobei, wenn jemand vor dem Regal stand an das ich wollte, ich kein Wort herausgebracht habe und in meinem Kopf zumindest für diesen Einkauf einen Haken hinter das Produkt gemacht habe. Das gab es denn diesmal einfach nicht.

Wie ihr euch vorstellen könnt, bin ich dadurch manchmal nur mit der Hälfte oder wenig passenden Sachen, von denen ich dann die Woche über leben musste, nach Hause gekommen. Diese Situation war Stress pur, mein Puls die gesamte Zeit auf 180 und mein gesamter Körper angespannt im Alarmmodus. Neben dem Rennen durch den Markt immer wieder den Zwang unterdrückend die Umgebung nach „Gefahren“ zu sondieren.
Der Heimweg war dann nicht anders. Nur halt mit schwerem Gepäck auf dem Rücken.

Zuhause angekommen war ich erschlagen wie nach einem 12 Stunden Arbeitstag in einem Steinbruch.
Ich fühlte mich wie der letzte Versager, auch wenn ich es geschafft hatte. Es ist nicht hilfreich fürs Selbstbewusstsein, wenn eine so alltägliche Aufgabe, die andere Leute auf dem Heimweg nach der Schicht nebenbei erledigen, dich so umwirft und dich den ganzen Tag kostet.

Außerdem ist beim Einkauf selber die Auswahl sehr begrenzt. Ich bin natürlich immer nur in den selben Supermarkt gegangen. Denn dort wusste ich wo was steht, konnte meine Einkaufsliste so schreiben, dass ich alles von oben nach unten schnell abarbeiten konnte und so effektiver war. Ergo war ich auch schneller raus. Zum Glück wurde das Sortiment in dieser Zeit nicht umgestellt. Ich hätte nicht gewusst, was ich dann gemacht hätte.

Oft haben mir Freunde oder auch meine damalige Freundin angeboten, für mich einkaufen zu gehen, wenn es wirklich nicht mehr ging – und da gab es relativ lange Phasen, in denen ich dies von meiner Freundin zwar annahm, habe mich aber trotzdem, sobald es wieder ging, durchgebissen und, mit einem gewissen Erfolg, meine Technik für mich entwickelt habe.

Mittlerweile gehe ich – zwar immer noch zu Fuß – aber in die größten Supermärkte in der Umgebung, manchmal auch in zwei oder drei, bekomme alles was ich brauche und laufe grinsend und pfeifend nach Hause bevor ich mich der nächsten Aufgabe widme.

Natürlich kostet mich das immer noch viel mehr Zeit und Aufwand als einen Nicht-Betroffenen, aber Stück für Stück geht es zurück in die Normalität! Und ich habe gelernt, die Zeit, die ich brauche, mir auch zu lassen. Gut Ding will Weile haben!

Liebe Grüße, bis zum nächsten Mal und danke fürs Lesen, der Kater =)